Das Leben ist eine ununterbrochene Abfolge von Entscheidungen. Von der scheinbar simplen Wahl unserer Kleidung am Morgen bis hin zu gravierenden Lebensentscheidungen, wie dem Kauf eines Hauses, prägen diese Entscheidungen unseren Lebensweg, beeinflussen unser Schicksal und formen unsere Zukunft. Einige dieser Entscheidungen mögen uns im Moment als gut durchdacht und richtig erscheinen. Nehmen wir beispielsweise den Kauf eines Hauses: Trotz gründlicher Recherche, Einholung von Expertenmeinungen und sogar der Konsultation eines Gutachters kann es passieren, dass sich später massive Mängel zeigen. Obwohl alles darauf hindeutete, dass die Entscheidung korrekt war, sind zukünftige Entwicklungen nicht immer vorhersehbar, was eine Entscheidung nicht gleich zu einer Schlechten macht. Wie im Schachspiel hat jeder Zug, jede Entscheidung, das Potenzial, den gesamten Verlauf zu beeinflussen.
1. Akt: Reflektieren
Wahrnehmung und kognitive Dissonanz
Bevor wir in die Tiefe der Reflexion eintauchen, ist es wichtig zu verstehen, wie unser Gehirn Entscheidungen verarbeitet. Die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, ist nicht immer objektiv. Unsere Wahrnehmung wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, darunter unsere bisherigen Erfahrungen, Überzeugungen und Emotionen. Wir nehmen unsere Wahrnehmung der Dinge oft als Wahrheit ohne automatisch es infrage zu stellen. Dies ist natürlich und nicht verwerflich. Dies bewusstzumachen ist jedoch notwendig, um beim Reflektieren nicht zu scheitern.
Dann gibt es das Phänomen der kognitiven Dissonanz. Das menschliche Gehirn ist ein komplexes Organ, das ständig versucht, Harmonie zwischen unseren Gedanken, Überzeugungen und Handlungen herzustellen. Dennoch gibt es Momente, in denen unsere Handlungen oder Entscheidungen nicht mit unseren tiefsten Überzeugungen oder unserer Wahrnehmung von uns selbst übereinstimmen. In solchen Fällen treten wir in das Gebiet der kognitiven Dissonanz ein, einem inneren Konflikt, der entsteht, wenn unsere Taten nicht mit unseren Gedanken in Einklang stehen.
Rechtfertigung (post-hoc-Rationalisierung)
Was es ist: Nachdem eine Entscheidung getroffen wurde, suchen Menschen nachträglich nach Gründen oder Erklärungen, um ihre Wahl zu rechtfertigen.
Beispiel: Manchmal spüren Menschen ein inneres Bedürfnis nach Veränderung, können dieses Gefühl jedoch nicht direkt identifizieren oder zugeben. Anstatt dieses Bedürfnis anzuerkennen, suchen sie nach externen Gründen, die ihre Unzufriedenheit rechtfertigen. Zum Beispiel könnte jemand, der mit seiner Arbeit unzufrieden ist, nicht direkt das Bedürfnis nach einer neuen Herausforderung oder Veränderung spüren. Stattdessen könnte er anfangen zu denken, dass sein Arbeitgeber ungerecht ist, die Kollegen nicht unterstützend genug sind oder die Arbeit selbst langweilig geworden ist. In Wirklichkeit hat sich vielleicht nichts an der Arbeit oder am Arbeitsumfeld geändert. Es ist das innere Bedürfnis nach Veränderung, das diese Gedanken und Gefühle hervorruft. Das Erkennen dieses Musters und das Eingestehen des tatsächlichen Bedürfnisses nach Veränderung kann dabei helfen, proaktivere und gesündere Entscheidungen zu treffen, anstatt in einem Zustand der Rechtfertigung und Unzufriedenheit gefangen zu bleiben.
Herabsetzung
Was es ist: Menschen minimieren den Wert oder die Bedeutung von Informationen oder Optionen, die in Konflikt mit ihrer Entscheidung stehen.
Beispiel: Ein Student, der sich gegen den Besuch einer bestimmten Universität entscheidet, könnte nachträglich deren Nachteile hervorheben, obwohl diese nicht der Hauptgrund für seine Entscheidung waren.
Änderung der Überzeugung
Was es ist: Menschen können ihre ursprünglichen Überzeugungen oder Einstellungen ändern, um den erlebten inneren Konflikt zu verringern.
Beispiel: Ein Vegetarier, der wieder mit dem Fleischessen beginnt, könnte im Laufe der Zeit seine Ansichten über Tierrechte ändern, um seine neue Ernährungsweise zu rechtfertigen.
Vermeidung von dissonanten Informationen
Was es ist: Um den inneren Konflikt nicht zu verschärfen, meiden manche bewusst Informationen, die ihre bestehenden Überzeugungen oder Entscheidungen in Frage stellen könnten.
Beispiel: Ein Raucher könnte Studien über die Gefahren des Rauchens vermeiden oder diese als unzuverlässig abtun, um nicht mit den negativen Aspekten seiner Gewohnheit konfrontiert zu werden.
Jeder dieser Mechanismen zeigt, wie mächtig das Bedürfnis unseres Gehirns ist, Konsistenz zwischen dem, was wir denken, und dem, was wir tun, herzustellen, selbst wenn dies bedeutet, unsere Wahrnehmung der Realität zu verzerren. Hier zeigt sich die wahre Macht der Reflexion. Durch bewusstes Nachdenken über unsere Entscheidungen und deren Ergebnisse können wir die Fallstricke der kognitiven Dissonanz überwinden. Ein reflektierter Ansatz ermöglicht es uns, unsere Wahrnehmungen zu hinterfragen, Fehler zu erkennen und daraus zu lernen. Es geht darum, aus Erfahrungen zu lernen und nicht in Reue oder Bedauern gefangen zu bleiben. Ein reflektierter Mensch nutzt diese Erkenntnisse, um zukünftig bessere Entscheidungen zu treffen, die nicht nur auf momentanen Überzeugungen oder Emotionen basieren, sondern auf einer tiefen, durchdachten Analyse der Situation.
Der brillante Schachzug
Das Schachspiel bietet eine treffende Analogie für das Leben und die Kunst der Entscheidungsfindung. Jeder Zug auf dem Schachbrett erfordert Überlegung, Strategie und die Fähigkeit, mehrere Züge im Voraus zu denken. Ein unüberlegter Zug kann das gesamte Spiel beeinflussen, während ein kluger Zug den Weg zum Sieg ebnen kann. Genau wie im Schach müssen wir im Leben unsere Züge sorgfältig planen und dabei sowohl die gegenwärtigen als auch die zukünftigen Folgen berücksichtigen.
Die Reflexion spielt auch im Schach eine entscheidende Rolle. Ein guter Schachspieler analysiert seine Spiele, lernt aus seinen Fehlern und passt seine Strategien an. Er versteht, dass nicht jeder Zug brillant sein wird, aber durch kontinuierliche Reflexion und Lernen kann er seine Fähigkeiten verbessern und zukünftige Partien erfolgreicher gestalten. Ohne Reflexion könnten wir in wiederkehrenden Mustern von Fehlentscheidungen gefangen bleiben. Es ist einfach, von unserer kognitiven Dissonanz in die Irre geführt zu werden und anzunehmen, dass unsere Entscheidungen immer richtig sind. Aber durch ehrliche Selbstreflexion können wir diese Muster erkennen und durchbrechen.
Der humorvolle deutsche Ausdruck „hätte, hätte, Fahrradkette“ mahnt uns, nicht ständig über verpasste Chancen oder Möglichkeiten nachzudenken. Es ist kontraproduktiv, sich dauerhaft in „Was wäre wenn“-Szenarien zu verlieren. Echtes Reflektieren hingegen konzentriert sich nicht auf das Bedauern von Entscheidungen. Es geht darum zu verstehen, warum wir uns in bestimmten Situationen so entschieden haben, welche Konsequenzen dies hatte und wie wir in Zukunft besser agieren können. Es ist ein proaktiver Ansatz, der darauf abzielt, aus Erfahrungen zu lernen und persönliches Wachstum zu fördern, anstatt in der Vergangenheit gefangen zu bleiben.
Reflektion ermöglicht es uns auch, uns von den Begrenzungen unserer eigenen Perspektive zu befreien. Indem wir unsere Entscheidungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, können wir ein umfassenderes Verständnis der Situation gewinnen und bessere, informiertere Entscheidungen treffen.
Fazit
Abschließend ist es wichtig zu betonen, dass Reflexion kein isolierter Akt ist. Es sollte ein kontinuierlicher Prozess sein, der uns durch unser Leben begleitet. Nur so kann man sicherstellen, dass wir nicht nur gute, sondern brillante Züge in dem komplexen Schachspiel des Lebens machen. Sei einfach mal ehrlich zu sich selbst.
Immer.
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sehr schöner Artikel.
Trifft voll ins Schwarze….